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Werkzeuge und Netzwerke für den Unterricht von morgen: das Programm „Klasse!Digital“

8. Dezember 2022
Tablet mit Gedankenblase
Abschluss und Aufbruch zugleich: Inspiriert und motiviert für neue Unterrichtskonzepte blicken Lehrkräfte von 85 Schulen auf arbeitsintensive 18 Monate „Klasse!Digital“. Jetzt zogen die Partner – das Ministerium für Schule und Bildung NRW, die Wübben Stiftung und RuhrFutur – gemeinsam mit rund 190 Teilnehmenden Bilanz.

Weiterentwicklung braucht Veränderung – das gilt auch für das System Schule. Mit Beginn der Corona-Pandemie mussten von heute auf morgen Lösungen her, um mit digitalen Medien Unterricht auf Distanz zu ermöglichen. In den meisten Schulen fehlte es an allem: an technischer Ausstattung, Internetzugängen, Erfahrungen im Umgang mit Digitalität und in der Anwendung digitaler Tools. Mit Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts hoffte die eine oder andere Lehrkraft auf eine vollständige Rückkehr zur analogen Arbeit. Doch Digitalisierung ist längst Teil unseres Lebens – eine neue Realität, die neue Kompetenzen verlangt. 

„Jetzt geht es nicht mehr um Notlösungen“, beschreibt Dr. Birgit Aswerus-Oberstein von der Agentur Soencksen & Teilhaber den Ansatzpunkt für das Programm „Klasse!Digital“, „sondern darum, ein grundlegendes Konzept für die Digitalisierung zu entwickeln, das auf Dauer pädagogisch sinnvoll ist und das Analoge integriert.“ Die Psychologin qualifizierte Steuergruppen von Schulen für die ganzheitliche Unterrichtsentwicklung – ein grundlegender Baustein des 18-monatigen Programms. 

Inspiration bekommen und teilen

Veränderung braucht Zeit, vor allem in dem behäbigen System Schule. Diese Erfahrung hat der Mathematik- und Informatiklehrer Frajo Ligmann gemacht. Seine Erklärung: Am System Schule sind viele Akteur*innen beteiligt – vom Ministerium, das den Rahmen setzt, über die Schulleitung, das Kollegium und die Schüler*innen bis hin zur Elternschaft.

Vier Personen sitzen an Schultischen und haben jeweils ein Tablet vor sich

Bei der Abschlussveranstaltung erläutert Ligmann gemeinsam mit Dr. Nina Bücker, Lehrerin für Englisch und Französisch, wie Veränderung dennoch gelingen kann: „Inspiration bekommen und teilen“, lautet ihre Empfehlung an die Lehrkräfte. Dafür bedürfe es der Vernetzung mit Gleichgesinnten ebenso wie fundierter Fortbildungen. Bücker und Ligmann raten dazu, Innovationen nicht im Alleingang einzuführen, sondern im Klassen- oder Jahrgangsstufenteam. Die Voraussetzungen dafür sind günstig: „Corona hat die Kultur der Zusammenarbeit befördert“, beobachtet Schulentwicklungsberaterin Birgit Aswerus-Oberstein. „Die Lehrkräfte mussten sich viel Neues aneignen und standen vor denselben Herausforderungen.“ Diese Erfahrung verbindet und macht es leichter, sich zu öffnen. 

Von Netzwerken profitieren

Der Netzwerkgedanke ist ein Eckpfeiler des Programms „Klasse!Digital“: Während in der Steuergruppenqualifizierung Schulen gleicher Schulform miteinander arbeiteten, förderte die fachliche Qualifizierung in Mathematik, Deutsch und Englisch die schulformübergreifende Vernetzung von Fachlehrenden. Nina Bücker, die Lehrkräfte im Fach Englisch schulte, stellte ihrer Gruppe im Anschluss eine Plattform für das weitere Netzwerken zur Verfügung. „Wir sollten die Klassenraumtür nicht nur innerhalb der Schule öffnen, sondern auch nach außen“, appelliert sie.

Netzwerke zu bilden, ist zudem aus wissenschaftlicher Perspektive sinnvoll. „Die Arbeit in Netzwerken profitiert von einem gewinnbringenden Matching, wenn die Schulen in Größe und Zielmatrix übereinstimmen“, resümiert Prof. Dr. Silvia-Iris Beutel bei der Abschlussveranstaltung. Die Professorin für Schulpädagogik und Allgemeine Didaktik an der TU Dortmund verantwortet die wissenschaftliche Begleitforschung zum Programm „Klasse!Digital“. Dazu zählen die Analyse von Dokumenten, das Erheben von Fragebögen sowie Interviews mit Expert*innen. Aus Sicht der Wissenschaftlerin verlangt digitale Innovation vor allem Klarheit über die pädagogisch-didaktische Zielsetzung. Das strategische Fundament sowie Werkzeuge für die Umsetzung und Netzwerke für Austausch und Verstetigung liefert das Programm zur Schul- und Unterrichtsentwicklung im Rahmen von „Klasse!Digital“. 

Ein gewinnbringendes Programm

Erste Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitforschung zeigen, dass die Befragten das Programm als sehr gewinnbringend beurteilen. Hilfreich sei insbesondere der neutrale, externe, wissenschaftlich fundierte Blick auf den jeweiligen Unterrichtsentwicklungsprozess, wie die einzelschulische Prozessbegleitung ihn ermöglicht. Nach den Erkenntnissen von Silvia-Iris Beutel und ihrem Team bewerten die Teilnehmenden vor allem die Steuergruppenqualifizierung äußerst positiv: Rund 70 % der Befragten fühlten sich in der Steuergruppe zielführend begleitet – ein erfreuliches Ergebnis für Birgit Aswerus-Oberstein von Soencksen & Teilhaber und Harald Scherello von „Der springende Punkt“, die für diesen Baustein des Programms verantwortlich waren.

„Lehrkräfte haben in der Regel wenig Knowhow in Projektmanagement und Changemanagement. Dieses vermitteln wir in den Fortbildungen, stellen das Werkzeug vor und die Teilnehmer:innen nutzen es sofort praktisch“, erläutert Aswerus-Oberstein. Die einzelschulische Prozessbegleitung erlaube es zudem, intensiv mit einzelnen Steuergruppen zusammenzuarbeiten und individuelle Themen effektiv und effizient zu bearbeiten. Angesichts der hohen Belastung von Schulleitungen und Lehrkräften betont die Trainerin noch einen anderen Punkt: „Die Fortbildungen und Prozessbegleitungen sind auch eine Art ‚Zeitgeschenk‘ für die Lehrkräfte.“ Sie könnten intensiv in das Thema eintauchen und Konzepte entwickeln, ohne bereits an die nächste Unterrichtsstunde zu denken.

Unterwegs – aber noch nicht am Ziel

Wie nutzen die Schulen dieses Zeitgeschenk und das darin vermittelte Knowhow für ihre Unterrichtsentwicklung? Was hat sich bereits verändert, woran arbeitet man noch? Einblick gewähren die Erfahrungsberichte mehrerer Schulen, die am Programm „Klasse!Digital“ teilnahmen. Kathi Schmidt, Schulleiterin der Wolfgang-Borchert-Gesamtschule in Recklinghausen, berichtet, durch die Fortbildung sei es gelungen, im Kollegium Ängste abzubauen. Sie freut sich über mehr Offenheit, mehr Mut zum Ausprobieren in ihrem Team und über den Ausbau der technischen Ausstattung an ihrer Schule. Dennoch gebe es weiterhin Hürden: Widerstände und unterschiedliche Haltungen zur Digitalität ebenso wie unklare Rahmenbedingungen und fehlende Zeit. „Wir sind auf dem Weg – aber noch nicht fertig“, bilanziert die Pädagogin.

Höhen und Tiefen erlebt auch das Pestalozzi-Gymnasium in Herne in seinem Prozess der Unterrichtsentwicklung. Schulleiterin Ulrike Strajhar ist dankbar dafür, ein hochmotiviertes Team in ihrer Steuergruppe zu vereinen. Sie präsentiert einen detaillierten Projektplan mit allen „To dos“ und Zuständigkeiten des Entwicklungsvorhabens. „Drei von vier Zielen haben wir erreicht“, berichtet Ulrike Strajhar. Dazu zählt unter anderem das Einrichten einer iPad-Versuchsklasse, die im Sommer 2022 an den Start ging. Darüber hinaus entwickelte das Schulteam eine neue Sozial- und Digitalcharta, die von allen Schüler*innen sowie Eltern und Lehrkräften unterzeichnet wird. Die Charta ist das Ergebnis eines partizipativen Prozesses, an dem Lehrkräfte, Schüler- und Elternschaft gleichermaßen beteiligt waren. 
 

Immun gegen Stillstand

Wenngleich der Weg zur digitalen Schul- und Unterrichtsentwicklung allen Beteiligten noch einige Anstrengungen abverlangen wird: Der Anfang ist gemacht, wichtige Eckpfeiler sind gesetzt. „Wir wollen weiterhin Neues entwickeln, um die Vision zu stärken“, plant Kathi Schmidt. Mit ihrem Team der Wolfgang-Borchert-Gesamtschule möchte sie die bewährten Teamtreffen aufrechterhalten, eine Evaluation starten und weitere Fortbildungsangebote schaffen. Eine ähnliche Aufbruchsstimmung herrscht an vielen anderen Schulen des Programms.

Dieser ausgeprägte Wille zur Veränderung spiegelt sich auch in der Begleitforschung. „Es gibt eine Immunität gegen Stillstand“, stellt Schulforscherin Silvia-Iris Beutel fest. Laut ihrer Befragung versprechen sich Schulen von dem Programm „Klasse!Digital“ einen deutlichen Mehrwert im Hinblick auf individuelle Förderung und die Verbesserung der Unterrichtsqualität. Um ihre Ziele zu erreichen, nutzten sie nicht nur die Bausteine „Steuergruppenqualifizierung“ und „Fachliche Qualifizierung“, sondern auch das umfangreiche Webinar-Angebot von RuhrFutur: Über 8.000 Teilnehmende bildeten sich innerhalb eines Jahres online weiter. „Sie schätzen das schnelle, greifbare Knowhow, das dort vermittelt wird“, weiß Birgit Aswerus-Oberstein aus den Rückmeldungen.

Neugierig bleiben

Die enorme Einsatz- und Innovationsbereitschaft der teilnehmenden Schulen trotz ihrer starken Belastung durch Corona-Pandemie und Personalmangel beeindruckt die Partner von „Klasse!Digital“ nachhaltig: Lehrkräfte und Schulleitungen haben ein anspruchsvolles Programm absolviert und das Erlernte engagiert in ihre Kollegien getragen. Dass dabei die Lust am Kennenlernen digitaler Medien nicht zu kurz kam, ist den Referent*innen der fachlichen Fortbildungen zu verdanken: Mit viel Herzblut und praktischen Tipps stellten sie unterschiedlichste Tools vor und gewährten spannende Einblicke in ihren Unterricht. Ihre Begeisterung sprang über und animierte die Lehrkräfte, das Erlernte so bald wie möglich mit der eigenen Klasse zu erproben. 

„Bleiben Sie dran, bleiben Sie neugierig!“, ermuntert Dr. Farina Nagel, Leiterin des Handlungsfelds Schule von RuhrFutur, Lehrkräfte und Schulleitungen. Gemeinsam sei es möglich, Veränderung zu gestalten. Dafür wünschen die Partner den Schulen vor allem Mut, Zeit und eine Kultur des Teilens. RuhrFutur wird sie über das offizielle Ende von „Klasse!Digital“ hinaus auf ihrem weiteren Weg begleiten: Die Bildungsinitiative bietet Interessierten auch künftig eine große Auswahl an Webinaren und darüber hinaus Präsenzveranstaltungen mit Inspirationen und praktischen Tipps für den Unterricht von morgen.

Lyrische Zusammenfassung der Veranstaltung von Poetry Slammer Jason Bartsch

 

(Autorin: Martina Biederbeck)